Schweizer Revue
August 2022

Beim E-Voting ruhen alle Hoffnungen auf der Post

Online abzustimmen oder zu wählen, ist in der Schweiz derzeit nicht möglich. Läuft alles nach Plan, können die Kantone 2023 wieder mit Testläufen starten. Dann soll das E-Voting-System der Post zur Verfügung stehen.

Man sei auf einem guten Weg. So lässt sich zusammenfassen, was die Bun­deskanzlei und die Schweizerische Post im April in Sachen E-Voting kom­muniziert haben. Anlass dazu gab ein Bericht: Unabhängige Fachleute hat­ten das E-Voting-System der Post auf Herz und Nieren geprüft. Sie attestie­ren ihm «wesentliche» Fortschritte. So ist seit 2019 etwa die Dokumenta­tion klarer, umfassender und besser strukturiert worden. Der Quellcode erhält in weiten Teilen ebenfalls ein gutes Zeugnis. Die Expertinnen und Experten benennen aber auch Schwachstellen. Mängel haben sie zum Beispiel beim kryptografischen Protokoll festgestellt. Ein solches dient dazu, die abgegebenen Stim­men zu verifizieren, ohne dass dabei das Stimmgeheimnis verletzt wird. Für die Sicherheit ist es von entschei­dender Bedeutung. Die Post hat einen Teil der Befunde bereits berücksich­tigt. Sie spricht davon, dass sich das Projekt nun in einer «weiteren Ent­wicklungsphase» befinde. Im Lauf von 2023 will sie es abgeschlossen haben.

E-Voting, ein Schweizer Dauerthema

Ein digitaler Wahl- und Abstimmungs­kanal schien in den letzten Jahren be­reits ein paar Mal greifbar nahe. Auf positive Meldungen folgten jedoch Rückschläge. Es war ein stetes Auf und Ab. 2004 wurde E-Voting erst­mals getestet. 2015 war es in einigen Kantonen sogar möglich, sich via Computer, Tablet oder Smartphone an den nationalen Wahlen zu beteili­gen. Die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer machten davon rege Gebrauch: Aus der Fünften Schweiz gingen rund ein Drittel mehr Stimmen ein als sonst.
15 Kantone führten über 300 Test­läufe durch, bis der Bundesrat 2019 beschloss, die Übung abzubrechen. Finanzielle Überlegungen hatten den Kanton Genf und Sicherheitslücken die Post dazu veranlasst, ihre IT-Lö­sungen zurückzuziehen. Der Bund passte die Rahmenbedingungen für einen neuen Anlauf an. Er erhöhte die Anforderungen an die Sicherheit, sprach sich für eine Open-Sour­ce-Strategie aus und kündigte an, un­abhängige Spezialisten für Überprü­fungen hinzuzuziehen. Eine solche hat nun erstmals stattgefunden.

Drei Kantone planen Versuche für 2023

Ariane Rustichelli, Direktorin der Aus­landschweizer-Organisation (ASO), äussert sich vorsichtig optimistisch: «Wir haben Vertrauen in das Vorge­hen und hoffen, dass die Post die ge­forderten Verbesserungen rasch vor­nehmen kann.» Die Befürworter eines elektronischen Stimmkanals seien schon ein paar Mal enttäuscht wor­den, sagt sie. «Wir glauben erst, dass es vorwärtsgeht, wenn es tatsächlich passiert.» Der politische Wille, E-Vo­ting in absehbarer Zeit zu ermögli­chen, dürfte dank der Corona-Krise zugenommen haben. Die Ausnahme­situation hat gezeigt, wie wertvoll di­gitale Dienstleistungen sein können. «eGovernment trägt dazu bei, unsere direkte Demokratie zu gewährleisten», sagt Ariane Rustichelli. Einige Kan­tone seien daran interessiert, 2023 mit Testläufen zu starten. Es sind dies Basel-Stadt, St. Gallen und Thurgau. Graubünden will ab 2024 loslegen.

Fachhochschule veröffentlicht ebenfalls Quellcode

Dass sich zurzeit alle Augen auf die Schweizerische Post richten, hat mit fehlender Konkurrenz zu tun. Das E-Voting-System des Kantons Genf ist zwar weiterverfolgt worden, aber nur in einem Bereich. Ein Team der Ber­ner Fachhochschule pflegte den Quell­code ab 2019 weiter. Es war für die kryptografischen Spezifikationen be­reits zu einem früheren Zeitpunkt zugezogen worden. Als der Auftrag des Pionierkantons wegfiel, arbeitete es im Rahmen eines eGovernment­Projekts des Bundes weiter. «Wir konn­ten alle sicherheitsrelevanten Teile des Systems komplett umsetzen», sagt Informatik-Professor Rolf Haenni. Der Aufwand habe sich gelohnt: Der öffentlich verfügbare Code habe ein hohes Qualitätsniveau erreicht. Dar­auf könnten andere aufbauen, so Rolf Haenni. «Leider hat sich bis jetzt noch keine Firma dafür interessiert.»

Die Jungen erledigen vieles per Smartphone

Ein E-Voting-System zu entwickeln, sei extrem komplex und teuer, sagt Ariane Rustichelli. Die Post habe da­für schon viel Geld und Zeit investiert, gibt sie zu bedenken. «Wir hoffen, dass sie an diesem Engagement festhält.» Die Post betont die strategische Be­deutung des Projekts. «Es geht hier um die Zukunft der Post in einer im­mer digitaleren Welt, es sind also ent­scheidende Investitionen für eine Post von morgen», sagt Sprecherin Silvana Grellmann. Umfragen zeigten, dass sich die Stimmberechtigten ei­nen weiteren Abstimmungskanal wünschten. Diese Forderung werde zunehmen. «Im Alltag der heranwach­senden Generation gilt: Alles kann mit dem Smartphone erledigt werden. Dass dies gerade bei der politischen Mitsprache nicht möglich ist, wäre in der nahen Zukunft wohl schwer nach­vollziehbar.»
Die Post bekräftigt ihre Absicht, 2023 ein E-Voting-System zur Verfü­gung zu stellen. Sie arbeitet allerdings nach Prinzip «Sicherheit vor Ge­schwindigkeit». Generaldirektor Ro­berto Cirillo sagte kürzlich vor den Medien: «Die grösste Herausforde­rung ist es, das Vertrauen in unsere Lösung hochzuhalten.» Das Unter­nehmen macht daher transparent, wie es Fehler aufspürt und ausmerzt. 2021 hat es seinen Quellcode veröf­fentlicht und ein Bug-Bounty-Pro­gramm lanciert. Es hat aus der Ha­ckerszene rund 130 Meldungen erhalten und relevante Hinweise mit insgesamt 97 000 Franken belohnt. Wieviel es darüber hinaus fürs E-Vo­ting ausgibt, kommuniziert es nicht. Wenn die Post ihre IT-Lösung verbes­sert hat, steht eine weitere unabhän­gige Überprüfung an. Erst wenn de­ren Ergebnisse vorliegen, können die Kantone aktiv werden und eine Bewil­ligung für neue Versuche beantragen. Je nach Ausgangslage werden sie ihre Infrastruktur, bestehende Prozesse, Schnittstellen zu anderen Systemen und den Stimmrechtsausweis anpas­sen müssen. «Ein solches Integrati­onsprojekt dauert aufgrund unter­schiedlicher Faktoren und Fristen ein bis eineinhalb Jahre», sagt Barbara Schüpbach-Guggenbühl, Präsidentin der Schweizerischen Staatsschreiber­konferenz. Es sei deshalb ein ambitioniertes Ziel, E-Voting bei den eidgenössi­schen Wahlen im Herbst 2023 einset­zen zu wollen. Dass dies gelingen wird, ist eher unwahrscheinlich. Die rund 788 000 Schweizerinnen und Schweizer, die im Ausland leben, wer­den wohl auf das briefliche Verfahren vertrauen müssen.
Ariane Rustichelli würde dies be­dauern: «Da die Unterlagen oft zu spät eintreffen, wird es vielen nicht mög­lich sein, ihre politischen Rechte wahrzunehmen.»

Ariane Rustichelli

«Wir haben Vertrauen in das Vorgehen und hoffen, dass die Post die geforderten Verbesserungen rasch vornehmen kann»
Ariane Rustichelli, Direktorin der Auslandschweizer-Organisation ASO

Roberta Cirillo

«Die grösste Herausforderung ist es, das Vertrauen in unsere Lösung hochzuhalten»
Roberta Cirillo, Post-Generaldirektor