Grosseltern
November 2018

Mit Grand-maman im Bundeshaus

Alice Glauser-Zufferey, SVP-Nationalrätin und zwölffache Grossmutter, hat ihrer Enkelin Iléana Glauser kürzlich ihren Arbeitsplatz in Bern gezeigt. Vom Rummel um den Rücktritt eines Bundesrats liess sich die 13-Jährige wenig beeindrucken.

Vitamin G

An den Marktständen vor dem Bundeshaus werden Kürbisse feilgeboten. Die Sonne lässt den Herbstmorgen milder erscheinen, als er ist. Kurz vor 8 Uhr gehen Alice Glauser-Zufferey und ihre Enkelin Iléana über den Platz. Gemeinsam betreten sie das Parlamentsgebäude, deponieren ihre Jacken in der Garderobe und richten sich in der Wandelhalle ein. Die Waadtländer SVP-Nationalrätin begrüsst Ratskollegen, bedient sich an der Auslage von Tageszeitungen und wirft einen Blick auf das Tagesprogramm. Den Sitzungsbeginn verfolgt sie im Ratssaal. Iléana setzt sich derweil an einen kleinen Marmortisch im Vorraum, packt Bleistift und Notizheft aus und beginnt zu zeichnen. Während das Parlament darüber diskutiert, ob der Milchmarkt gesteuert werden soll, bringt die 13-Jährige feine Striche aufs Papier. Wovon ihr Comic handelt, will sie nicht verraten. Sie entwickle die Geschichte laufend weiter. Alice Glauser-Zufferey befürwortet Milchkontingente und verbindliche Milchpreise. Die Produzenten seien auf bessere Bedingungen angewiesen, sagt sie. Zurzeit hätten viele Mühe, zu überleben. Landwirtschaftliche Themen liegen der Weinbäuerin aus Champvent am Herzen. Sie engagiert sich daneben vor allem in Bildungsfragen. Das duale System sei für die Schweiz ein zentraler Standortfaktor, betont sie. «In Bildung zu investieren, bedeutet, in die Zukunft unseres Landes zu investieren.»

Dass Iléana ihre Grand-maman an diesem Vormittag begleiten kann, hat auch damit zu tun, dass sie von ihren Eltern zu Hause unterrichtet wird. Sie muss sich nicht an fixen Unterrichtszeiten oder Schulferien orientieren. Sie ist bereits am Vortag angereist und hat am Abend auf der Zuschauertribüne verfolgt, wie die grosse Kammer über die Einführung von Lohnanalysen diskutierte. «Es war repetitiv», erzählt sie. Alice Glauser-Zufferey hatte mit ihrem Abstimmungsverhalten Aufmerksamkeit erregt. Entgegen der Parteilinie hatte sie sich grundsätzlich für eine entsprechende Änderung des Gleichstellungsgesetzes ausgesprochen. «Frauen leisten gleich viel wie Männer», sagt sie am Tag danach. «Unternehmen sollen beweisen müssen, dass sie für gleiche Arbeit gleiche Löhne zahlen.»

Der Bereich der Grünen

Nun will sie ihrem zweitältesten Enkelkind das Bundeshaus zeigen. An der reich verzierten Decke der Wandelhalle entdecken die beiden Trauben, wie sie sie zu Hause tonnenweise ernten. Sie diskutieren über die Palmen, die den Raum begrünen. «Bonsais wären schöner», findet Iléana, und Alice Glauser-Zuf- ferey lacht. «Oder wenigstens Pflanzen, die bei uns vorkommen», sagt die 64-Jährige. Auf dem Balkon geniessen sie dann die Aussicht aufs Marzilibad, die Kirchenfeldbrücke und den Gurten. Im warmen Licht der Herbstsonne zeigt sich die Stadt von ihrer schönsten Seite. Zurück in der Wandelhalle erklärt die Politikerin: «Das ist der Bereich der Grünen – der Partei deiner Mutter». Sabine Glauser Krug ist Mitglied des Waadtländer Kantonsrats, der in Lausanne ebenfalls gerade tagt.

Alice Glauser-Zufferey stellt ihrer Enkelin zwei grüne Nationalrätinnen vor, sie wechselt ein paar Worte mit einem Lobbyisten und muss dann zurück in den Rat, um abzustimmen. «Das ist das, was wir machen», sagt sie im Weggehen. «Wir sprechen mit anderen Politikern, haben Sitzungen, debattieren und entscheiden.» Ihre Grossmutter habe bestimmt eine spannende Aufgabe, sagt Iléana. Sie könne etwas bewirken. Zurück im Vorzimmer der SVP wendet sie sich wieder ihrem Zeichenheft zu.

Ein Bildschirm überträgt, wie Ratspräsident Dominique de Bumann das Rücktrittsschreiben von Bundesrat Johann Schneider-Ammann verliest. Als er damit fertig ist, ertönt Applaus. Parlamentarier strömen aus dem Saal, viele telefonieren. Medienschaffende holen Reaktionen ein und beginnen, über mögliche Nachfolger zu spekulieren. Iléana lässt sich davon nicht ablenken. Sie ist ganz in ihren Comic versunken, zeichnet ein Mädchen, das einem Hund direkt in die Augen schaut.
Der Rücktritt des Volkswirtschaftsministers sei allgemein erwartet worden, sagt Alice Glauser-Zufferey. «Es gab einige Anzeichen.» Die Bäuerin war mit seiner Arbeit nicht immer zufrieden. Er habe den Freihandel zu stark forciert, findet sie. Es brauche nun jemanden, der einen Mittelweg finde.
Zeit, den Rundgang fortzusetzen. Mit dem Lift geht es hoch in den dritten Stock zum Konferenzzimmer 301, dem grössten überhaupt. Hier tagt jeweils die SVP-Fraktion, die zurzeit 70 Mitglieder zählt. Der Grossmutter und der Enkelin bleiben allerdings nur wenige Minuten, um sich hinzusetzen und sich vorzustellen, wie hier jeweils diskutiert wird. Dann kündigt der Pager die nächste Abstimmung an. Inzwischen dreht sich die Debatte um Detailfragen der Lohnanalysen.
Iléana nimmt auf einer Bank im Treppenhaus Platz. Irgendwann kommt eine Weibelin mit Schokolade und Pausensnacks vorbei. Doch das Warten dauert an. Als die Nationalrätin endlich zurückkehrt, werfen die beiden noch einen Blick in die Eingangshalle. Sie beobachten unter anderem, wie der Parlamentspräsident Armeniens empfangen und von mehreren Fotografen ins rechte Licht gerückt wird. Auf dem Handy suchen sie danach die nächste Verbindung nach Champvent heraus. Iléana macht sich auf den Heimweg ins kleine Dorf, wo die ganze Familie an derselben Strasse wohnt. «Dass man es untereinander gut hat, ist das Wichtigste», sagt Alice Glauser-Zufferey. Sie ist mit acht Geschwistern aufgewachsen, hat vier Kinder und inzwischen zwölf Enkelkinder. Sie hofft, dass diese dereinst privat und beruflich glücklich werden. Dazu will sie – nicht nur mit ihrer Arbeit in Bern – einen Beitrag leisten.