Grosseltern
November 201
Was Geschichten auslösen
Starke Mädchen erleben in ihren Büchern spannende Abenteuer: Bestseller-Autorin Federica de Cesco hat damit in jungen Jahren Neuland betreten – und Kritiker erzürnt. Heute fehlen den Buben Vorbilder…
FEDERICA DE CESCO (79) schaffte den Durchbruch als Autorin bereits mit 16 Jahren. Eine Berufsberaterin ermunterte sie damals, das Manuskript «Der rote Seidenschal» einem Verlag zu schicken. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Jugendbuchautoren im deutschen Sprachraum. Sie hat über 80 Bücher veröffentlicht. Davon richten sich einige auch an Erwachsene, so etwa ihr aktuellstes Werk «Die neunte Sonne» (2015) und der Spionageroman «Der englische Liebhaber», der 2018 erscheinen wird. De Cesco schreibt täglich vier bis fünf Stunden und braucht dazu Kaffee, schwarze
Federica de Cesco, ist Ihnen immer wohl bei dem, was Ihre Geschichten bei Kindern und Jugendlichen auslösen?
De Cesco: Was sie häufig auslösen, ist eine Lust am Schreiben. In Einzelfällen hat diese tatsächlich zu einem Buch geführt. Meistens endet sie aber mit einem Manuskript, das leider nicht sehr persönlich ist, weil es etwa den «roten Seidenschal» oder Harry Potter zu imitieren versucht. Im besten Fall regen meine Bücher die Fantasie an, im schlimmsten Fall träumen die Kinder in der Schule vor sich hin. Das habe ich auch getan.
Ihre Bücher wecken aber auch Abenteuerlust.
Das stimmt. Einige Kinder schreiben mir, «ich will zu den Tuareg gehen». Dann antworte ich ihnen, «dafür ist es 40 Jahre zu spät». Die Tuareg machen jetzt leider mit irgendwelchen Dschihadisten gemeinsame Sache. Sie haben es nie geschafft, einen eigenen Staat zu gründen. Schade! Nichts dagegen habe ich, wenn Kinder zu den Indianern reisen möchten.
Haben Sie eine Verantwortung als Autorin?
Ich habe eine Verantwortung, die ich stark spüre. Deswegen kommen in meinen Büchern keine Leichen vor, die blutüberströmt und womöglich zerstü- ckelt in einem Wald liegen. Das mag ich nicht. Gewisse Kritiker werfen mir vor, dass ich eine heile Welt vorgaukle. Wann war die Welt denn heil? Im Ersten Weltkrieg? Im Zweiten Weltkrieg? Im Mittelalter? Bei den Römern? Wir können froh sein, dass Kinder heute in einer relativ guten Zeitepoche leben und nicht mit den brutalen Realitäten des Lebens konfrontiert werden. Fragt sich, wie lange das noch so bleibt. Sie erzählen aber durchaus von Kriegen, Ungerechtigkeiten… Genau. Es ist nicht alles rosarot. Aber ich bin immer bestrebt, dass am Schluss Hoffnung besteht – dass die jungen Protagonisten nicht in ein dunkles Loch fallen.
Haben Sie eine pädagogische Absicht?
Auf alle Fälle. Ehre ist mir wichtig. Ich zitiere gerne Miyamoto Musashi, den berühmtesten aller Schwertkämpfer. Er sagte: «Tue nie etwas, worüber du dich vor dir selbst schämen müsstest». Das schraubt die Ansprüche sehr hoch. Am Ende seines Lebens hat er zudem postuliert: «Du musst siegen, ohne zu kämpfen». Das heisst, mit dem Kopf siegen. Einen brutalen Gegner muss man neutralisieren, ohne ihn in Stücke zu hacken. Er soll zur Einsicht gelangen, «ich bin noch nicht auf diesem Niveau und sollte mich anstrengen, um ein vollwertiger Mensch zu werden».
Es geht Ihnen darum, gewisse Werte zu vermitteln.
Absolut. Was die Mädchen betrifft, lautet meine Botschaft: Seid bitte nicht bescheiden! Bescheidene und gehorsame Mädchen werden ausgenutzt. Seid grossmütig, aber verlangt etwas und lasst euch nicht in eine Schablone pressen.
Sie haben drei Enkelkinder, das älteste ist 28, das jüngste 15 Jahre alt. Zählen sie zu Ihren Lesern?
Nein. Sie haben meine Bücher wenig gelesen. Ich nehme an, aus irgendwelchen Hemmungen heraus. Aber sie hören fasziniert zu, wenn mein Mann, etwas zurückhaltender, und ich, etwas überschäumender, von den Tuareg oder von Japan erzählen. Dann wollen sie immer mehr wissen.
Ihre Enkel teilen demnach Ihre Faszination für fremde Kulturen. Mein jüngster Enkel interessiert sich für Katana, das japanische Schwert. Er lässt sich gerne schildern, wie dieses geschmiedet wird. Bei uns arbeiten Schmiede in der Regel in einer dunklen Werkstatt, in der allerlei herumliegt. In Japan muss der Schmied erst einmal ein Bad nehmen, er muss saubere, weisse Kleider anziehen und strenge Sauberkeitsriten einhalten. Die Schwertschmiede ist ein Ort der totalen Reinlichkeit. Das Schwert dient dem Schutz vor sich selbst. Es dient dazu, die bösen Gedanken zu erschneiden.
Wie ist der Kontakt zu Ihren Enkeln? Mein Mann und ich haben das Problem, dass wir Grosseltern sind, die nicht ganz in das Schema passen. Unsere Enkelkinder wissen nicht so recht, wie sie mit uns umgehen sollen (lacht). Früher waren wir kaum da. Wir waren viel auf Reisen, nun sind wir etwas ruhiger geworden.
Sie hatten selbst eine Grossmutter, die Ihnen häufig vorgelesen hat. Ja, sie war noch eine Grossmutter alter Schule. Sie war aus Münster und hat mir Grimms Märchen vorgelesen. Irgendwann hatte sie genug. Sie knallte mir das Buch vor die Nase und sagte, «da, lies jetzt selbst». Da stand ich wie der Ochse vor dem Berg. Weil ich jedoch weiterlesen wollte, habe ich es mir beigebracht. Das Buch war in gotischer Schrift geschrieben. Für Mädchen gab es damals nicht viel. Alles Spannende war für Buben. Ich las Winnetou, der mir irgendwann auf die Nerven ging. Es gefiel mir nicht, dass er Christ werden und sterben musste. Mark Twain und Charles Dickens habe ich mit Leidenschaft gelesen.
Mit Ihrem Erstling «Der rote Seidenschal» und vielen weiteren Büchern haben Sie starke Vorbilder für Mädchen geschaffen. Welche Reaktionen erhielten Sie darauf? In Belgien, wo ich damals lebte, krähte kein Hahn danach. Die Bücher waren erfolgreich, weil es Abenteuerbücher waren. Mein damaliger Verlag publizierte eine Reihe, die sich bewusst an Mädchen richtete. Dafür habe ich elf Romane geschrieben. Die Schweizer Zensoren liefen später jedoch Sturm. «Das ist doch verwerflich», meinten sie. «Da kommt Körperkontakt vor». Die Protagonisten halten einmal Händchen. «Das Mädchen zieht Hosen an und lebt mit einem jungen Mann in der Wüste – wie bitte?» Sie kritisierten dies als schlechtes Vorbild für die Schweizer Mädchen – und diese haben sich natürlich darauf gestürzt.
Die Kritik war beste Werbung. Das war’s (lacht). Meine erste Lesung fand in der Innerschweiz statt. Ich kam direkt aus Belgien und trug Hosen mit Schottenmuster. Die Lehrerin und die Klasse machten grosse Augen, da die Mädchen alle mit Jupe und Wollstrümpfen in den Bänken sassen. Ich fragte sie, «friert ihr denn nicht am Po?» Peinliches Schweigen.
Sie haben in all den Jahren viel für die Mädchen getan. Sie hätten auch in die Politik gehen können. Das stimmt. Das habe ich mir zu spät überlegt. Ich habe vor 10, 15 Jahren gedacht, ich sollte mal auf den Tisch hauen. Ich hätte einiges zu sagen. Ich finde etwa, dass die Hälfte des Bundesrates weiblich sein muss.
Heisst das, man müsste nun mehr für die Buben tun?
Ja. Buben und Mädchen gehören zusammen. Sie müssen zusammen agieren. In der zukünftigen Welt sollen Männer und Frauen in Eintracht leben. Ich finde es sehr gut, wenn Männer Windeln wechseln. Das finde ich total männlich.
Und die aktuelle Jugendliteratur?
Was ich nicht mag, sind Krimis und Fantasy-Romane. Es wimmelt von Harry-Potter-Imitationen. Es gibt genug Abenteuer, die in der realen Welt bestanden werden können. Man sollte Kindern wieder mehr historische Geschichten erzählen, die Bezug zur heutigen Wirklichkeit nehmen.
Sie lesen immer noch in Schulen vor. Wie sind Kinder und Jugendliche als Publikum?
Sie sind sehr aufmerksame, wissbegierige Beobachter. Ein Bub fragte mich einmal, wie das Klima in der Sahara sei. Ich antwortete ihm, dass es tagsüber heiss sei und die Temperatur nachts zuweilen unter null Grad sinke. Da hob er wieder die Hand und fragte: «Wieso haben Sie ein Buch geschrieben, das «Sterne über heissem Sand» heisst?» (lachte) Da habe ich mich aus der Affäre gezogen, indem ich ihm sagte, dass der Titel vom Verlag stamme. Und das stimmt sogar.
Sie schreiben für Erwachsene und für Kinder. Was sind die Unterschiede?
Kinderbücher zu schreiben, ist schwieriger. Kinder sind äusserst wissbegierig, haben aber einen beschränkten Wortschatz. Da muss ich mir häufig den Kopf zerbrechen. Ich versuche, nicht zu viele Landschaftsbeschreibungen zu machen, was mir manchmal schwerfällt. Die Liebesszenen sind eher verhalten. Kürzlich brachte der Arena Verlag mein Buch «Kel Rela. Im Herzen der Sahara», das ich vor 20 Jahren geschrieben hatte, neu heraus. Er bat mich, die Liebesszenen etwas expliziter zu machen. Er versah das Buch mit Post-its an jenen Stellen, die ich überarbeiten sollte. Da stand darauf, «Bitte mehr Sex». Ich dachte, das darf doch nicht wahr sein – und habe ein bisschen mehr Liebe hineingeschrieben. Die Liebesszenen in den heutigen Jugendbüchern orientieren sich leider stark an amerikanischen Vorbildern. Gewisse Stereotypen kann ich nicht lesen, ohne einen Lachkrampf zu kriegen.
Haben Sie als Autorin erreicht, was Sie erreichen wollten?
Alles in allem ja. Einige meiner älteren Bücher werden nun neu aufgelegt. Das Buch «Aischa» beispielsweise. Ich habe es vor 20 Jahren geschrieben. Damals krähte kein Hahn danach. Das Mädchen legt sein Kopftuch ab und wirft es schliesslich in den Müll. Es schläft mit einem Vietnamesen und isst bei seiner jüdischen Freundin Schweinefleisch. In dieser jüdischen Familie kocht die vietnamesische Mutter eben Schweinefleisch. Kurzum, Aischa macht alles, was sich angeblich nicht gehört und wie ich es auch machen würde.
Gibt es in der heutigen Kinder- und Jugendliteratur ausreichend starke Mädchen- und Frauenfiguren?
Einige Verlage geben sich Mühe, Mädchen zu promoten. Das tun sie jedoch meist auf Kosten der Buben. Jetzt lesen wir häufig von starken Mädchen und weinerlichen Buben. Das ist auch nicht richtig. Die aktuelle Literatur vernachlässigt die Buben ein bisschen. Ihnen fehlen Vorbilder.